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Was IT Governance von Luis de la Fuente lernen sollte

Friedrich der Große hat einmal gesagt: „Ich brauche Generäle, die nicht nur tüchtig sind, sondern auch Fortune haben.“ Spaniens Teamchef hat schon lange sehr gute Arbeit mit seinem Team geleistet und am Sonntag hatte er auch das sogenannte „Glück des Tüchtigen“.

Diesen Text hätte ich auch geschrieben, wenn Spanien das Finale nicht gewonnen hätte, denn es genügt nicht, gut zu arbeiten, man braucht auch mehr oder weniger Glück dazu. Österreichs Teamchef Ralf Rangnick verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie Luis de la Fuente und immerhin wurde Österreich damit Gruppensieger vor Frankreich und den Niederlanden, was vor der Euro niemand für möglich gehalten hat. Der Finalsieg Spaniens erspart mir allerdings die Frage, warum man von jemand lernen sollte, der am Ende verloren hat. Daher spreche ich nachfolgend nur noch über Spanien.

Kurze Einleitung (nicht nur) für Fußball-Agnostiker

Der Ansatz von Luis de la Fuente kann meiner Ansicht nach durch eine grundlegende strategische Entscheidung und einige flankierende Taktiken beschrieben werden. Ich gehe auf die Definition von Strategie und Taktik hier nicht näher ein. Dazu gibt es einen ausführlichen Blogbeitrag, der die Unterscheidung von Strategie und Taktik im Kontext des Konfliktmanagements beschreibt.

Die Strategie: Offensiv statt defensiv

Anstatt vor allem gegnerische Tore zu verhindern und auf Fehler des Gegners zu warten, setzte Luis de la Fuente auf eine offensive Strategie. Dies bedeutet, dass die Mannschaft aktiv nach vorne spielt, Chancen kreiert und den Gegner unter Druck setzt („Pressing“). Ein Nebenaspekt, der auch in der IT wesentlich ist: Alle haben mehr Freude an der Arbeit.

Taktik 1: Teamwork und Zusammenarbeit

Ein zentraler Enabler für die Umsetzung der Offensivstrategie war die Förderung des Teamgeistes. Es gelang ihm, jeden seiner Superstars zu überzeugen, dass nur der gemeinsame Erfolg zählt und nicht die individuelle Leistung. Jeder Spieler muss sich in den Dienst des Teams stellen. Starallüren und Alleingänge sind verpönt.

Taktik 2: Flexibilität und Anpassungsfähigkeit

Im Fußball unterscheidet man die Prinzipien „Raumdeckung“ und „Manndeckung“. Immer noch wird bei der Mannschaftsaufstellung jedem Spieler eine bestimmte Position am Spielfeld zugeteilt. Wenn von den Spielern erwartet wird, dass sie möglichst am zugeteilten Ort bleiben und gegnerische Spieler attackieren, die dort eindringen, ist das „Raumdeckung“. Wenn man hingegen den Verteidigern einen gegnerischen Spieler zuteilt, den sie unabhängig von der zugeteilten Position an der Ballannahme und insbesondere an Torschüssen hindern sollen, ist es das Prinzip der Manndeckung. Übrigens wird dieser Begriff auch im Frauenfußball (noch?) verwendet.

Luis de la Fuente praktiziert ein hybrides Konzept, die Spieler müssen je nach Situation entscheiden, welches Prinzip sie priorisieren. Das erfordert hohe Flexibilität und vor allem auch eine hervorragende Kommunikation im Team. Missverständnisse können dazu führen, dass plötzlich ein gegnerischer Spieler allein vor dem Tor steht. Defensive Mannschaften orientieren sich stärker am Prinzip Raumdeckung, sie „mauern“.

Taktik 3: Förderung von Kreativität

Obwohl es detaillierte Vorgaben auf Grundlage der Analyse der gegnerischen Mannschaft gibt, wird von jedem Spieler erwartet, dass er den Mut hat, von einer Vorgabe abzuweichen, wenn dies mehr Erfolg verspricht. Das erfordert Mut und auch eine positive Fehlerkultur, denn die Verantwortung für Fehler kann nicht auf eine höhere Instanz abgeschoben werden.

Erfolgsfaktor „Execution“

Die Umstellung der Spielanlage der Nationalmannschaft verlief nicht ohne Rückschläge. Die Niederlage gegen Schottland in der EM-Qualifikation im März 2023 und die Schwierigkeiten in Spielen der UEFA Nations League 2022 gegen Schottland, Tschechien und die Schweiz sind konkrete Beispiele für Rückschläge, die Luis de la Fuente in der Anfangsphase seiner Amtszeit erlebte. Er ließ sich davon nicht beirren, sondern arbeitete weiterhin an der konsequenten Umsetzung seiner Strategie. Als Erfolgskriterium definierte er den Gewinn der Europameisterschaft. Der zwischenzeitliche Sieg in der Nations League 2023 war natürlich hilfreich. Da hatte er allerdings auch Glück, denn der Sieg im Elfmeterschießen im Finale gegen Kroatien war denkbar knapp. Man kann davon ausgehen, dass er auch im Falle einer Niederlage in der Nations League seine Strategie beibehalten hätte.

Was können wir von Spaniens Beispiel für die IT Governance lernen?

An dieser Stelle muss ich klären, wer in meinen Analogien die Rolle der gegnerischen Mannschaft wahrnimmt. Es sind nicht die Kunden der IT-Abteilung (auch wenn es sich manchmal so anfühlt)! Ich meine damit die faktischen Herausforderungen der Aufgabenstellung, die letztlich nur Anwender (Fachabteilungen, Kunden) gemeinsam mit der IT-Abteilung (interne IT-Abteilung und/oder externes IT-Unternehmen) bewältigen können.

1. Offensiv statt defensiv und Pressing

In IT-Abteilungen dominiert nach meiner Erfahrung eine geradezu reflexartige Abwehr gegenüber neuen Anforderungen. Natürlich wissen wir alle, dass es dafür gute Gründe gibt: begrenzte Kapazitäten, unklare und oft unreflektierte IT-Anforderungen, hohe Wartungs- und Anpassungsaufwände für in die Jahre gekommene Alt-Systeme etc. Und natürlich ist der effektivste Weg, Kapazität zu gewinnen, Projekte gar nicht erst zu beginnen.

Ein Prinzip des agilen Manifests geht genau in diese Richtung: „Die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren, ist essenziell“. Dieses Zitat habe ich allerdings verfälscht, denn vollständig lautet das Prinzip so: „Einfachheit — die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren — ist essenziell“. Einfache Lösungen erzielt man allerdings nur, wenn man sich mit einer Anforderung eingehend beschäftigt hat.

Wenn ich für „Pressing“ plädiere, meine ich damit die möglichst frühe intensive Auseinandersetzung mit Anforderungen, die Suche nach Lösungsmöglichkeiten, die Suche nach möglichst einfachen Lösungen durch Prozessinnovation und durch IT-Funktionen. Das kann nicht mit einem generalisierten Abwehrreflex gelingen. Auch wenn nach eingehender gemeinsamer Analyse am Ende eine Anforderung nicht umgesetzt werden kann, wird die Akzeptanz auf Kundenseite deutlich höher sein als wenn von Anfang an hinhaltender Widerstand geleistet wurde. Und wenn der hinhaltende Widerstand der IT-Abteilung durch ein Machtwort des Managements gebrochen wird, ist die Freude darüber auf Kundenseite getrübt und die IT-Abteilung ist ohnehin frustriert.

Eine besonders unangenehme Form des hinhaltenden Widerstandes ist der Verweis, dass es sich hier um eine neue Anforderung handle, die so im urspünglichen Auftrag nicht enthalten war. Im agilen Manifest heißt es dazu: „Heiße Anforderungsänderungen selbst spät in der Entwicklung willkommen. Agile Prozesse nutzen Veränderungen zum Wettbewerbsvorteil des Kunden.“ Ich muss zugeben, dass ich diesen Zugang auch in agilen Projekten noch nie erlebt habe. Das kann an der Einseitigkeit meiner Projekterfahrungen liegen, aber nach über 30 Jahren in diesem Feld fürchte ich, dass es nicht nur an mir liegt.

Heißt das, man sollte Anforderungen immer umsetzen? Natürlich nicht! Jede Anforderung ist allerdings danach zu beurteilen, ob sie einen Wertbeitrag leistet. Man kann bei einer immer schon formulierten Anforderung später erkennen, dass es nicht sinnvoll ist, sie umzusetzen. Und es kann bei einer völlig neuen Anforderungen in späten Phasen eines Projektes so sein, dass es für den Erfolg des Projektes wesentlich ist, ob diese Anforderung umgesetzt wird oder nicht. Ich plädiere hier also für einen Zugang, der dem „Zero Base Budgeting“ gleicht: Dass etwas immer schon so gewesen ist, kann die Entscheidung von heute nicht determinieren. Die Entscheidung orientiert sich immer am Beitrag zur Erreichung des Ziels.

Die Umstellung der Strategie erfordert Aufwand und dafür geeignete und motivierte Mitarbeiter*innen. Aber diese Belastungsspitze (den bekannten Hockeyschläger-Effekt) kann man durch Zukauf von externen Ressourcen bewältigen. Ja, dafür sind Berater da! Sie müssen allerdings daran arbeiten, Know-How-Transfer zu betreiben und an ihrer eigenen Entbehrlichkeit zu arbeiten. Das erfordert eine konsequente Steuerung auf Seiten der Auftraggeber, es ist kein Selbstläufer. Aber wo gibt es schon Selbstläufer?

2. Teamwork und Zusammenarbeit

Dass IT-Projekte nicht gelingen, wenn das Team in sich zerstritten ist, muss man nicht weiter erläutern. Dass sie aber auch nicht gelingen können, wenn Anwender/Kunden und die IT-Abteilung einander misstrauen, Finger-Pointing betreiben anstatt zusammen zu arbeiten, weiß zwar auch jeder, die Praxis sieht allerdings oft anders aus. Ich habe in meinem Berufsleben das Thema Teambuilding immer hoch gewichtet. Immerhin habe ich Psychologie studiert und habe zahlreiche Berufsjahre als Führungskräftetrainer gearbeitet und selbst Führungsfunktionen in Beratungsunternehmen innegehabt. Ich werde auf das Thema Team Building in einem späteren Blogbeitrag eingehen.

3. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit

Agile Ansätze sind ja eigentlich der Inbegriff von Flexibilität. Wenn ich mir allerdings die Anwendung agiler Frameworks in der Praxis ansehe, vermisse ich diese Eigenschaften sehr oft. Das sind einige der typischen Symptome:

  • Beharren auf fix definierten Rollen, egal ob die dafür geeigneten Personen zur Verfügung stehen.
  • Beharren auf Vorgehensmodellen und Prozessen, egal ob diese im gegebenen Kontext zielführend sind.
  • Beharren auf bestimmen Formen der Anforderungsdefinition, egal ob diese für die gegebene Aufgabenstellung aussagekräftig sind.

Ich habe dazu schon in einem früheren Newsletter ausführlich Stellung genommen, daher hier nur ein Link.

4. Förderung von Kreativität

Der Weg von einer fachlichen Anforderung zu einer IT-Lösung ist ein kreativer Prozess. Kreativität kann nur in einer kooperativen und konstruktiven Atmosphäre entstehen. Denken wir an Brainstorming als anerkannte Methode zur Erarbeitung kreativer Lösungen. Hier werden zunächst Ideen gesammelt, Bewertung und Kritik sind in dieser Phase strikt verboten. Wenn die IT-Abteilung unter dem Titel „Priorisierung“ damit beginnt, die Berechtigung und Relevanz von Anforderungen in Frage zu stellen, bevor man noch nach einer möglichen Lösung gesucht hat, entsteht sicher kein kreativer Prozess. Der kreative Prozess kann aber dazu führen, eine ursprünglich als wichtig klassifizierte Anforderung zu verwerfen, weil eine bessere Alternative gefunden wurde. Das ist ein Vorteil für alle, vor allem für das Unternehmen insgesamt.

Die Arbeit an IT-Lösungen kann nur in Form einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt und einem ergebnisoffenen Ansatz erfolgreich verlaufen. Dabei müssen auch die Anwender bereit sein, das Hinterfragen ihrer Anforderungen durch die IT zu akzeptieren. Die lnformationstechnologie weist eine extreme Änderungsdynamik auf und schafft so immer neue Möglichkeiten der Prozessgestaltung. Meist entstehen Anforderungen auf Basis bekannter Architekturen und Technologien. Das Potenzial von am Markt verfügbaren Technologien muss in den Anforderungsprozess von der IT-Abteilung eingebracht werden und dabei können Lösungen entstehen, die kostengünstiger und effizienter sind als jene, die Grundlage der ursprünglichen Anforderung waren.

Erfolgsfaktor Execution

Die erfolgreiche Umsetzung einer Offensivstrategie als leitendes Prinzip der IT Governance erfordert auch die richtigen Personen im Management. Wenn hier so stark auf Luis de la Fuente abgestellt wurde, so vereinfacht das die Geschichte des Erfolges. Er war offenbar jene Person, die den Anstoß gegeben und die Umsetzung konsequent vorangetrieben hat. Aber insgesamt braucht man für den Erfolg eine große Zahl von Personen, die in ihrer Rolle zum Erfolg beitragen müssen.

Stellt man die Strategie um, so sind Rückschläge unvermeidlich, der Hockeyschläger-Effekt gilt auch für die Erfolgskurve, es wird zunächst vieles schlechter funktionieren. Ohne den Mut, einen Change-Prozess durchzuziehen, auch wenn es zwischendurch Schwierigkeiten gibt, kann es (leider) nicht funktionieren.

Mit diesem Beitrag appeliere ich an alle, die für die IT Governance in Unternehmen und im öffentlichen Sektor verantwortlich sind, sich vom Erfolg von Luis de la Fuente ermutigen zu lassen und auf eine offensive Strategie umzustellen. Es ist schwierig, aber es lohnt sich!

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