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Kann die Unternehmenskultur einen Einfluss auf den agilen Projekterfolg haben?

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der Unternehmenskultur beginnt Ende der 1970er Jahre und somit deutlich später als die Auseinandersetzung mit seinen Wortbestandteilen. Insbesondere für den Begriff „Kultur“ kann die akademische Gemeinde auf eine kontroverse Betrachtung zurückblicken (1), wohingegen das Wesen von Unternehmen erst später in den Mittelpunkt fundierter Betrachtungen rückte. Bis dahin wurde die Unternehmenskultur durch die Betriebswirtschaftslehre nicht oder nicht fokussiert thematisiert.

Autoren wie Scholz bezeichnen diese Phase auch als „Kulturignoranz“ (2).  Die Aufmerksamkeit für die Unternehmenskultur erstarkt deutlich, als vielbeachtete Autoren wie Peters und Watermann (3) sowie in der Folge Deal und Kennedy (4) damit beginnen, die Unternehmenskultur zu beschreiben. Sie zeichnen ein System von Eigenschaften und Werten, die es in ihrer Gesamtheit den Angehörigen eines Unternehmens erleichtern, ihre Arbeitsergebnisse performant zu verrichten. Wenngleich diese Betrachtung eingängig erscheint und sicher auch heute für viele Arbeitgeber den Begriff der Unternehmenskultur vollständig ausfüllt, adressiert das Konzept ausschließlich die funktionalen Eigenschaften einer Kultur.

 Im Folgejahr veröffentlichte Schein sein System der Kulturebenen (5) und zeigt auf, dass Unternehmenskultur sich in Sprache, Kleidung und Umgangsformen darstellen kann, aber durch instinktive Grundannahmen und gemeinsam geteilte Werte konstituiert wird. Mit diesem mehrdimensionalen Modell werden beschreibbare Objekte sowie kognitive Konstrukte präzise umrissen und grundlegender Bestandteil vieler fortfolgender Definitionen. Nach dieser Beschreibung zeigte Schreyögg (6) mit seiner Einführung der Kulturstärke und Kulturwirkung den Einfluss von Unternehmenskultur, den diese auf ihre Angehörigen haben kann. Er identifizierte positive Wirkungen wie Identifikations-, Motivations-, Koordinations- sowie Profilierungsfunktion auf der einen, aber auch negative Effekte wie das Denken in Stereotypen und reduzierte Lösungsidentifikation auf der anderen Seite.

 Ausgelöst durch die starken Konzentrationsbestrebungen der weltweiten Wirtschaft veröffentlichen Gallivan und Srite (7) 2005 ihre Untersuchungen über die Interdependenz von nationaler Kultur und Unternehmenskultur in der Informationstechnologie. Sie plädieren in ihrer Literaturrecherche für eine holistische Betrachtung dieser beiden Perspektiven und unternehmen damit den Versuch, die beiden unterschiedlichen Stränge des wissenschaftlichen Diskurses zu einem zu vereinen.

 Kann die Unternehmenskultur Einfluss auf ein agiles Projekt haben?

Diese Frage wird sich bereits der ein oder andere Projektleiter gestellt haben, doch lässt sie sich wissenschaftlich längst nicht so leicht beantworten, wie man annehmen würde. Denn bei einem Projekt – ob nun agil oder klassisch ausgeführt – handelt es sich um eine komplexe Struktur mit vielen Variablen. So zeigt Khan (8) mit seiner umfassenden Literaturrecherche allein 34 unterschiedliche Projekterfolgsmerkmale auf.

 2002, ein Jahr nach der Veröffentlichung des agilen Manifests, stellen Lindvall et. al. (9) fest, dass die wichtigsten Erfolgsfaktoren eines Projektes die Kommunikation, das Personal und die Kultur seien. Auch wenn diese Autoren eine Definition der begünstigenden Kultur für agile Projekte zunächst nicht geben, zeigen sie die grundlegende Kohärenz der Kultur von Unternehmen und dem Erfolg eines Projektes auf. Den Versuch, diese Lücke zu schließen, unternimmt Highsmith (10) und prägt dabei den Begriff des Ökosystems, in dem ein Projekt ausgeführt werden muss. Dieses Ökosystem konstituiere sich durch die Ansichten der Organisationsangehörigen darüber, welche Praktiken als hilfreich wahrgenommen werden und weshalb. Highsmith bietet unter Zuhilfenahme des Kulturmodells von Schneider (11) zwei Kulturen an, in denen er die Ausführung von agilen Softwareprojekten als besonders erfolgversprechend ansieht. Insbesondere die Kompetenzkultur, in der das Wissen der Individuen in den Vordergrund gestellt werde sowie die Kooperationskultur, die durch die synergetische Zusammenarbeit geprägt sei, seien für die Anwendung von agilen Softwareentwicklungsmodellen förderlich.

 Robinson und Sharp (12) verdeutlichen in einer Implementierungsbeobachtung der Softwareentwicklungsmethode „Extreme Programming“, dass sich eine erfolgreiche Kultur nicht durch die Forderung zur Einhaltung von Prinzipien – hier die des agilen Manifests – erzwingen lässt, wenngleich sie essentiell für die erfolgreiche Anwendung einer Entwicklungsmetode und damit für die Fortuna des Projektes sei. Vielmehr rekurrierten die Organisationsmitglieder bei der Bildung einer begünstigenden Umgebung auf das Vorhandensein von gegenseitigem Respekt und Verständnis. Gleichzeitig stellen die Autoren aber auch den subsidiären Charakter der Existenz der Prinzipien fest.

 Gleichwohl sich diese Beobachtung nur auf eine der differenten agilen Entwicklungsmethoden bezieht, zeigt sie die Kohärenz von begünstigender Unternehmenskultur und erfolgreicher Entwicklungsmethode. Diesen Zusammenhang nennen auch Boehm und Turner (13) sowie Ivari und Ivari (14). Letztere sekundieren mit der Feststellung, agile Softwareentwicklungsmethoden würden durch hierarchische Unternehmenskulturen nicht begünstigt werden, den Befund Highsmiths, der diese Kulturform (Control Culture) ebenfalls als nicht unterstützend angesehen hatte.

 Nerur et al. (15) nehmen Kernaussagen, die Highsmith, Robinson und Sharp erarbeitet haben, wieder auf und postulieren, dass für den Übergang vom Bisherigen zu agilen Softwareentwicklungsmethoden eine Kultur geprägt von Zusammenarbeit, Kommunikation und gegenseitiger Wertschätzung obligat sei. Weiter weisen sie aber auch darauf hin, dass ein Kulturwandel extrem komplex sein könne. So seien die traditionellen Methoden von Sicherheit, Vorhersagbarkeit und einer klaren Weisungs- und Entscheidungsstruktur geprägt. Agile Methoden hingegen erforderten die Akzeptanz des Unvorhersehbaren und kooperative Entscheidungen, welche altbewährte Unternehmenskulturen schnell an ihre Grenzen führen können. Sie plädieren daher für eine fundierte Prüfung vor dem Einschlag des agilen Weges. Diesem Weg weiter folgend untersucht Livermore (16) den Zusammenhang von Trainings, externen Informationsquellen und anderer Unterstützung bei der erfolgreichen Einführung einer agilen Softwareentwicklungsmethode. Hierbei kann er nachweisen, dass der Einsatz von unterstützenden Trainings und Zugang zu Informationsquellen die Einführung positiv unterstützen kann, wohingegen die gemeinsame Zusammenarbeit an einem Standort per se nicht als unterstützend identifiziert werden konnte.

 Chow und Cao (17) untersuchen den Zusammenhang der Kultur, in der ein Projekt ausgeführt wird, und dessen Erfolg. Neben anderen Faktoren können die Autoren dabei nicht ausdrücklich nachweisen, dass eine positive Korrelation zwischen der organisatorischen Umgebung, also unter anderem der Unternehmenskultur, und dem Projekterfolg besteht. Stankovic et al. (18) nehmen die Erfolgsfaktoren von Chow und Cao erneut auf und können diese wiederum zwar nicht signifikant nachweisen, aber ebenso wenig, dass die Unternehmenskultur maßgeblichen Einfluss auf den Projekterfolg hat. Diese kontrastierenden Beobachtungen zum Einfluss der Kultur als Umgebungsvariable können Campanelli und Parreiras (19) in ihren Arbeiten nicht bestätigen. Letztere verifizierten ausdrücklich ihre Hypothese über die Relation zwischen der Kultur und erfolgreicher agiler Softwareentwicklung und schlagen für das ihrer Ansicht nach existente Lager der Traditionalisten, durch die Empfehlung einer adaptiven Methode aus plangetriebenen und agilen Methoden eine Brücke, um situationsgerechten Projekterfolg zu erreichen. Nerur reiht sich damit ebenfalls in die Linie der Autoren ein, nach deren Auffassung Unternehmenskultur durchaus maßgeblichen Einfluss auf die erfolgreiche Ausführung der agilen Softwareentwicklung hat.

 Kann nun abschließend mit Sicherheit festgestellt werden, dass die Unternehmenskultur entscheidend für den Erfolg agiler Projekte ist?

Wahrscheinlich nicht. Zumindest konnten die bisherigen Untersuchungen keinen signifikanten Einfluss der Kultur eines Unternehmens auf den Erfolg eines agil ausgeführten Projektes nachweisen.

 Die Erfahrungen aus diversen agilen Projekten bei unseren Kunden mit unterschiedlichen Unternehmenskulturen zeigen, dass eine erfolgreiche Teambildung und ein methodisches Vorgehen noch vor der Transformation einer Unternehmenskultur als Erfolgsmerkmal hervorzuheben sind. Die Zusammenführung der richtigen Personen und die Schaffung einer produktiven Arbeitsatmosphäre kann durch Sie als Projekt-, Teilprojekt- oder Programmleiter direkter beeinflusst werden.

Wir haben den Prozess der Teambildung bereits in diversen, auch standort- und länderübergreifenden Projekten beobachten und positiv beeinflussen können. Gerne stehen wir auch Ihrem Team mit unserer Expertise zur Seite und behalten dabei den wissenschaftlichen Diskurs stets im Auge, um mit Ihnen fundierte Entscheidungen für Ihren Projekterfolg zu treffen.

 Der Autor des Artikels, Kai Alexander Hanus, ist Senior Consultant im Kompetenzcenter Business Consulting des Geschäftsbereichs Versicherungswirtschaft der FINCON Unternehmensberatung GmbH und verfügt über mehr als neun Jahre Erfahrung in IT-Projekten der Versicherungsbranche.

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